In diesem Interview sprechen Inka Tappenbeck und Antje Michel mit uns über Informationskompetenz, Erfahrungen, Tipps im Umgang mit Informationen und ihre Eindrücke von der Eröffnungstagung.

Zusammen haben Sie auf der Eröffnungstagung den Vortrag zum Thema »One size doesn’t fit at all – Zukünftige Anforderungen an Konzepte und Vermittlungspraktiken von Informationskompetenz« gehalten.

Antje Michel ist Professorin für Informationsdidaktik und Wissenstransfer an der Fachhochschule Potsdam. Die Professur ist in der Informationswissenschaft sowie interdisziplinär angesiedelt und beschäftigt sich im Kern damit, was in unterschiedlichen Fachkulturen unter Wissen und Information verstanden wird, wie Menschen mit Information umgehen und wie Wissen über unterschiedliche Umgangsarten mit unterschiedlichen Informationen für Lehr-/Lernprozesse adaptiert werden kann.

Inka Tappenbeck ist Professorin am Institut für Informationswissenschaft an der Technischen Hochschule Köln. Informationskompetenz ist ein Schwerpunkt ihrer Lehre und Forschung. Weitere Lehr- und Forschungsgebiete sind Informationsdienstleistungen und Informationsressourcen. Beide Themengebiete hängen eng mit dem Gebiet Informationskompetenz zusammen. Das Hauptanliegen ist es, angehende Bibliothekarinnen und Bibliothekare auf den Aufgabenbereich der Vermittlung von Informationskompetenz vorzubereiten. Hier wird auch auf aktuelle Trends eingegangen. So werden neben der fachbezogenen Informationssuche und Informationsbewertung insbesondere auch Fragen der Bewertung von Quellen und der Kommunikation auf sozialen Plattformen behandelt.


Was bedeutet Informationskompetenz für Sie?

Antje Michel: Es gibt zahlreiche Definitionen von Informationskompetenz. Im Kern bedeutet Informationskompetenz für mich, in der Lage zu sein, den eigenen Informationsbedarf zu erkennen, zu verstehen, ihn systematisch zu befriedigen, mit Informationen korrekt und angemessen umzugehen und in der Lage zu sein, Informationen selber produzieren zu können. Dazu gehört vor allem auch die Fähigkeit zur kritischen Reflexion von Informationsquellen und der Informationsökonomie. Des Weiteren gehört auch die kritische Reflexionsfähigkeit bzgl. der Rolle von Information in menschlichen oder auch menschlich-technischen Kommunikations- und Interaktionsprozessen dazu. Gerade dieser letzte Punkt wird, glaube ich, immer wichtiger auch im Zusammenhang mit der digitalen Kommunikation, weil wir uns immer stärker auch darüber bewusst sein müssen, dass wir nicht von vornherein einschätzen können, ob wir mit einem Menschen oder mit Technik kommunizieren. Im Moment steht in gesellschaftlichen Diskussionen häufig die Frage im Vordergrund, wie wir erkennen können und wie wir markieren können, ob wir mit einem Menschen oder mit einer technischen Entität kommunizieren. Für mich ist jedoch die Frage wesentlich wichtiger, welche Beurteilungsmaßstäbe wir grundsätzlich an kommunikativ vermittelte Informationsprozesse anlegen und ob diese sich ändern, je nachdem ob wir mit einem Menschen oder einer Maschine kommunizieren.

Inka Tappenbeck: Ergänzen möchte ich noch den Aspekt der Multiperspektivität. Man kann nicht sagen, es gibt eine Informationskompetenz, die wir für alle Kontexte definieren können. Man sollte Informationskompetenz als etwas Relationales betrachten, etwas, dass für jede Gruppe, jede Person und unterschiedliche Kontexte jeweils neu definiert werden muss. Das bedeutet, wir können nicht sagen Informationskompetenz ist ABCDEF und das vermitteln wir jetzt im Kindergarten, in der Schule, an der Hochschule, in den Berufen, in der beruflichen Weiterbildung. Wir müssen uns die Kontexte und Zielgruppen genau ansehen und dann darüber nachdenken, was ist eigentlich in diesem Kontext der Informationskompetenzbedarf unserer Zielgruppe.

Warum beschäftigen Sie sich mit den Themen Informationskompetenz und Demokratie?

Inka Tappenbeck: Zwischen diesen Themen besteht im Grunde eine ganz natürliche Verbindung. Demokratie basiert auf der Pluralität innerhalb der Gesellschaft, der Pluralität der Perspektiven, der Gruppen, der Kontexte. Und Informationskompetenz im Sinne dessen, was ich gerade ausgeführt habe, muss genau auf diese Pluralität rekurrieren. Dabei kann man nicht sagen, dass es wie in einer autokratischen Gesellschaft nur eine Perspektive gibt. Genauso wenig, wie es die richtige Information gibt. Vielmehr sollte man Dinge aus verschiedenen Perspektiven betrachten und Ambivalenzen aushalten können. Es gibt eben nicht die eine richtige Lösung. In Bezug auf den Bereich der Informationskompetenz bedeutet das, dass es eben nicht die eine Informationskompetenz gibt, die ich vermitteln muss, sondern es gibt verschiedene Informationskompetenzbedarfe verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Die Bedarfe der Gruppen verändern sich bspw. mit biografischen Verläufen. So haben Sie heute einen anderen Informationskompetenzbedarf als in der Zeit, in der Sie die dritte Klasse der Grundschule besuchten und Sie werden, wenn Sie zehn Jahre im Beruf sind, einen anderen Informationskompetenzbedarf haben als Sie ihn heute haben. Die Dynamik und die Pluralität stellt für mich die natürliche Verbindung zwischen den beiden Themen Demokratie und Informationskompetenz dar.

Antje Michel: Ich glaube wir müssen inzwischen um Demokratie kämpfen. Und zwar nicht nur im Kontext politischer Gruppierungen, die ein antidemokratisches Verständnis haben, der häufig diskutiert wird sondern auch teilweise in akademischen Diskussionen. Da stelle ich oft mit Schrecken fest, dass doch stärker in Frage gestellt wird, ob Demokratie denn eine geeignete Staatsform für die Bewältigung der großen Herausforderungen, wie bspw. der Klimaherausforderung ist. In diesem Zusammenhang wird häufig vorgebracht, dass China ja viel besser in der Lage ist durch das autokratische System auf Herausforderungen, wie den Umbau einer Gesellschaft für eine stärkere Nachhaltigkeit zu reagieren. Und das ist für mich auch im Kern ein Informationskompetenzthema. In der Lage zu sein, von dem Wertekanon, den man im Hintergrund hat, im Zusammenhang mit den Informationen, mit denen man sich beschäftigt, abzuwägen »Welche Werte sind für mich verhandelbar?« Da sehe ich im Moment, dass Demokratie wieder verhandelbar geworden ist. In Bezug auf die Geschichte der Information und Kommunikation glaube ich, sind wir, die nach dem zweiten Weltkrieg Geborenen, vor allem in Europa oder den USA in einer privilegierten Lage. Wir haben keine ganz fundamentalen Kommunikationskrisen erlebt und auch keine Staatszensur o. Ä. Und wenn man sich zum Beispiel mit Kommunikation im zweiten Weltkrieg beschäftigt, mit Propaganda, mit staatlich gesteuerter Kommunikation – auch in der Zeit war ein hohes Maß an kritischer Reflexionsfähigkeit von Bürgern und Bürgerinnen gefordert, sich eine Meinung zu bilden. Das ist etwas, was wir auch vermitteln können oder vermitteln müssen. Es gehört zum Bürgerbegriff oder Bürgerinnenbegriff dazu, eine gewisse Ambiguität, wie Frau Tappenbeck es gerade gesagt hat, auszuhalten und sich zu positionieren. Und dass die Alternative – eine nicht demokratische Alternative – immer eine ist, die mit ganz erheblichen Einschränkungen in der eigenen Handlungs- und Gestaltungsfreiheit verbunden ist.

Inka Tappenbeck: Dem kann ich nur zustimmen. Ich nehme auch in fachlichen Diskursen wahr, dass tatsächlich auch Bestrebungen sich Bahnen brechen, die Komplexität, die gegeben ist durch die Informationssituation, über die wir auch gestern bei der Tagung sehr intensiv gesprochen haben, und die überfordernde Qualität, die das für uns alle hat, darauf zu reagieren mit einer radikalen Reduktion von Komplexität durch autokratisch autoritäre Entscheidungen. Und dem entgegen zu wirken, hat natürlich sehr viel mit Demokratieförderung zu tun.

Welche zentralen Probleme und Lösungsansätze sehen Sie im Themenfeld Informationskompetenz?

Antje Michel: Ich würde sagen, dass die Herangehensweise an komplexe Probleme, wie die Frage, wie so etwas wie die Klimakrise eigentlich kommunizierbar ist, eine Herausforderung darstellt. Wie können wir Informationen so aufbereiten, dass sie überhaupt verständlich sind? Und das für unterschiedliche Zielgruppen. Also wie kann man im Prinzip komplexe Probleme kommunizierbar machen und Menschen in die Lage versetzen, sich aus vielschichtigen Informationen, die immer existieren werden, selbst ein Bild zu machen, dabei nicht verloren zu gehen, aber auch auszuhalten, dass man möglicherweise auch mal seine Meinung einfach revidieren muss und anzuerkennen, dass auch Information ein Prozess ist.

Inka Tappenbeck: Ich möchte noch ergänzen, dass eine wichtige Forschungsperspektive die ist, sich mit den sich dynamisch wandelnden und heterogenen Informationskompetenzbedarfen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in der Forschung näher zu befassen. Wir haben momentan noch keine wirklich verlässlichen Strategien, die es uns ermöglichen, verschiedene Bedarfe auch in ihrer dynamischen Entwicklung forschend zu erfassen. An dieser Herausforderung arbeiten wir auch in der Fachgruppe Informationskompetenz in dem wir Methoden entwickeln, die genau das ermöglichen. Nämlich einen forschenden Zugang zu den verschiedenen Bedarfen unterschiedlicher Zielgruppen, z. B. unterschiedlicher fachlicher Zielgruppen. Dabei wollen wir nicht in Klischees enden und einen nur momentanen Stand festhalten, sondern auch auf die Dynamik zu reagieren.

Welche (privaten) Erfahrungen machen Sie mit dem Thema Informationskompetenz?

Antje Michel: Also, was mir sehr stark auffällt und das ist auch ein Punkt, den wir in der Fachgruppe schon reflektieren, ist die Verbindung von Datenkompetenz und Informationskompetenz. Also Informationskompetenz als eine Kompetenz zu verstehen, die den ganzen Informations- oder Data-Lifecycle betrifft. Das ist etwas, dass mir im privaten Bereich häufig auffällt, dass es auch in meiner ziemlich gebildeten Familie, eine doch eher mangelnde Lesefähigkeit von Datenaufbereitungen gibt. Man scheint sich doch häufig davon blenden zu lassen, was Daten in unterschiedlichen Skalenaufbereitung suggerieren. Da haben sich bei uns schon eine ganze Reihe von familiären Diskussionen drum gerankt, wo ich festgestellt habe, dass das ein Punkt ist, in dem unserer Gesellschaft wirklich sehr leicht manipuliert werden kann. Dabei handelt es sich nicht immer unbedingt um eine politische oder schlimme wirtschaftliche Manipulation, sondern um eine aufmerksamkeitsökonomische Manipulation. Dies ist bei mir ein wesentlicher Anlass gewesen auch nochmal unser Konzept von Informationskompetenz zu reflektieren und zu sagen, diese Fähigkeit, im Prinzip diese Lesefähigkeit von Daten und in vielen Studiengängen auch die Produktionsfähigkeit und der Umgang mit Daten, das muss in den Vermittlungszyklus von Informationskompetenz mit aufgenommen werden. Das sollte auch nicht nebeneinander als getrenntes Paar Schuhe betrachtet werden. Data Literacy wird häufig eher aus der Perspektive der technischen Fähigkeiten im Umgang mit Informationen betrachtet dabei ist das, was wir jetzt im Bereich der Informationskompetenzvermittlung in den letzten 20 Jahren Diskurs schon erreicht haben, eigentlich auch für Data Literacy adaptionsfähig.

Welche drei Tipps haben Sie für den Umgang mit Informationen?

Inka Tappenbeck: Ein Tipp, den ich mir auch selber gebe und auch die Studierenden weitergebe, ist es, eine gewisse Angstfreiheit im Umgang mit neuen Darstellungsformen, mit neuen Tools, mit neuen Werkzeugen zur Ermittlung von Informationen zu entwickeln und nicht im ersten Moment den Untergang des Abendlandes zu befürchten, wenn sich eine neue Entwicklung anbahnt. Erst einmal sollte man Ruhe bewahren, die Dinge betrachten, angstfrei auszuprobieren, die Funktionsweise testen und dann durch Versuche und methodische Beschäftigung mit einem neuen Werkzeug, mit einer neuen Quelle, mit einer neuen Methode zu einem begründeten Urteil kommen. Also dieser Alarmismus, den Frau Michel gerade ansprach, den würde ich gerne etwas dimmen und zunächst dazu ermutigen, sich den Dingen angstfrei zu nähern, sich mit ihnen in Ruhe zu beschäftigen und dann zu einer Urteilsbildung zu kommen. Gerade in der medialen Aufbereitung sind es häufig sehr ausgeprägte Hypes und ausgeprägte Extremaussagen, die sich dann im Laufe der Zeit gar nicht bestätigen lassen. Also gehen wir erstmal angstfrei an die Dinge ran, halten wir die Ambivalenz, die uns überall begegnet ein bisschen aus und kommen wir dann zu einem begründeten Urteil. Ich glaube, das würde vielen Diskussionen sehr guttun.

Antje Michel: In einer informationspluralen Gesellschaft zu leben ist ein Privileg und dieses Privileg geht einfach damit einher, dass wir uns auch selber eine Meinung bilden, das können und schätzen lernen müssen. Was ich auch zudem mitgeben würde, ist es immer mal zu versuchen, sich die Frage zu stellen »Könnte es nicht auch ganz anders sein?« Also eine Information, insbesondere je überraschender oder alarmierender sie einem erscheint, immer nochmal durch eine zweite Quelle zu überprüfen und das dann auch mal durch eine Quelle, die nicht im eigenen Wohlfühlspektrum ist. Mein Wohlfühlspektrum ist bspw. alles rund um die Süddeutsche Zeitung, deswegen nehme ich dann auch gerne mal eine Zeitschrift aus dem eher rechtskonservativen Spektrum oder eine andere politische Quelle, wenn es bspw. um politische Nachrichten geht.

Was haben Sie sich erhofft von der Tagung? Mit welcher Erwartung sind sie hierhergekommen?

Antje Michel: Meine Erwartungen waren erstmal so ganz offen. Ich fand das Tagungsprogramm sehr spannend, aber ich wusste nicht so richtig, welche Communities herkommen. Und, was ich außerordentlich positiv finde, sind diese unterschiedlichen Communities, die sie hier miteinander ins Gespräch gebracht haben und das in ein so lebendiges Gespräch, wie ich es nicht häufig bei Fachtagungen erlebe. Mein Wunsch wäre es, dass sie so weitermachen, dass diese Dynamik genutzt und am Leben erhalten wird. Zweiter, damit verbundener Wunsch wäre, dass die Komplexität des Themas, die am ersten Tag aufgemacht wurde als Ermutigung wahrgenommen wird und diese Neugier auf die Ausübung der eigene Rolle als Lehrende, Lernende oder als BibliothekarIn in einem komplexen Informationsraum zu wecken und als Chance zu begreifen.

Inka Tappenbeck: Was mir besonders gut gefällt ist, das hat Frau Michel gerade angesprochen, am Anfang die Diskussion mit ganz unterschiedlichen Zielgruppen. Ich spreche nicht oft mit Lehrerinnen und Lehrern, das hat mir sehr gut gefallen, auch der Vortrag von Frau Montanari fand ich sehr gut, um Dinge mal aus einer Perspektive zu betrachten, die man normalerweise nicht einnimmt. Ich habe jetzt gelernt, dass meine Kinder sehr wohl sehr hochkompetent auf WhatsApp kommunizieren und ich nicht in der Lage bin, eine WhatsApp-Nachricht zu schreiben, weil ich nämlich eine Anrede und eine Grußformel verwende. Ich habe jetzt gelernt, dass es eine eigene Textsorte ist, die für bestimmte Kontexte genau passend ist und dort auch sehr effektiv funktioniert. Damit will ich sagen der Perspektivenwechsel, das Schauen über den eigenen Kontext, das finde ich sehr bereichernd und ich finde generell es müsste mehr Tagungen geben, in denen Gruppen zusammengeführt werden, die sich normalerweise in ihrem fachlichen Kontext nicht begegnen. Das fand ich am gestrigen Tag ausgesprochen bereichernd und ich habe viele Dinge mitgenommen, die ich jetzt auch transferieren kann auf eigene Fachfragen.


Wir danken Antje Michel und Inka Tappenbeck für dieses Interview!